Zweibeinige Nusshäher im Anflug
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Für unsereiner mag das Jahr 1867 tief im Schlund der Vergangenheit ruhen. Doch bei genauerer Überlegung ist die Zeitendistanz gar nicht so groß. Was sind schon 145 Jahre? Für einen Nussbaum bedeuten sie weniger als seine Lebensspanne. Vor exakt 145 Jahren wurde in Kalifornien die erste Walnussplantage angelegt. Heute stammen zwei Drittel aller weltweit verzehrten Walnüsse aus dieser sonnigen Gegend, und wenn jetzt in den Backwarenabteilungen der Supermärkte langsam wieder Walnüsse auftauchen, dann sind es meistens kalifornische.
Zeitgleich werden sie hierzulande gerade reif und fallen von den Bäumen. Der Weg der Walnusskerne von der Nussbaumwiese bis ins Backrohr ist arbeitsreich, und mein Verständnis für diejenigen, die lieber zu den so praktisch ausgelösten und säuberlich in Zellophan verpackten Kernen greifen, ist groß. Trotzdem wird hier jetzt der herbstlichen Nussernte gehuldigt, denn die hat auch ihren Reiz.
Zuerst zum Baum selbst. Der ist ein echter Kerl unter den Bäumen, eine Persönlichkeit besonderer Art. Ein Nussbaum steht, wo immer er steht, für sich. Er ist groß und mächtig und duldet neben sich nichts anderes. Er schickt chemische Botenstoffe aus, die andere Pflanzen am Wachstum hindern und sichert sich so seine Privatsphäre. Alles an der Nuss ist kostbar: Das Holz zählt zum Besten, was in der Tischlerei Verwendung findet. Die grünen Nüsse enthalten mehr Vitamin C als die meisten anderen Früchte. Die Nusskerne sind seit Jahrtausenden nicht nur eines der wichtigsten Lebensmittel der Menschheit, sondern haben auch gesundheitliche Talente, über die Mediziner und diätwissenschaftlich Bewanderte ins Schwärmen geraten. Aus Blättern, Rinde und den Schalen der Nüsse gewann man seit jeher Farben und Beizen. Womit wir bei einem der traditionell lästigsten Aspekte der Nussernte wären:
Denn die Nüsse fallen nicht schön blank und sauber vom Baum, sondern mitsamt ihrer um diese Jahreszeit bereits schwärzlich verfärbten Hülle. Wer sich nicht auskennt, schält die mit bloßem Finger ab und wird dann in den kommenden Wochen wie ein tintenpatziger Erstklassler daherkommen, weil das Zeug so dermaßen färbt, dass es selbst durch Zitronenlaugen und andere Hausmittel nicht mehr wegzukriegen ist. Die traditionelle Nussernte muss zu einem aufmerksam gewählten Zeitpunkt erfolgen, denn es gibt immer konkurrierende zweibeinige „Nusshäher“ in der Umgebung, die es ebenfalls auf die Nüsse abgesehen haben. Früher, als noch keine kalifornischen Nüsse im Supermarkt lagen, schritt man mit der langen Nussstange aus und schlug damit alles, was noch am Baum hing, herunter. Die Nüsse wurden in Körbe geklaubt und am Dachboden zum Trocknen flächig aufgelegt. Oft konnte man in der Nacht die Mäuse damit Fußballspielen hören.
Sobald die schwarzen Hüllen trocken waren, wurden die Nüsse vorsichtig mit den Schuhsohlen gerieben und solchermaßen freigelegt. Dann, so war es jedenfalls bei uns, kochte die Großmutter eines Nachmittags eine ordentliche „Bitschn“ Kakao, holte mehrere Hämmer und Bretter hervor, versammelte die Enkelschar und rief zum Nussknacken auf. Wie stark der Hammerschlag mit welchem Winkel auf die Naht der beiden Nusshälften gesetzt werden musste, lernte man schnell. Auch, dass Finger dazwischen nichts verloren hatten. Der Lohn der Arbeit waren gigantische Torten und Kuchen, fette Kekse und ganz viele während des Nussauslösens erzählte Märchen.
Frisch ausgelöste Nüsse sind ein spezielles Geschmackserlebnis. Unvergleichbar mit getrockneten. Und erst die ganz frischen: Wenn der Kern noch von einem hellen Häutchen umhüllt ist, sollte man versuchen, dieses abzuziehen, was ganz leicht geht, und die Sache dann feierlich ganz nackig zu verspeisen: Hören Sie die Engelein singen? Auch das Nussknacken mit bloßer Hand ist keine Hexerei, wenn man sich nicht mit einer Nuss plagt, sondern zwei gegeneinander drückt. Das macht die Sache einfacher. Lauter alte Bauernschmähs, sozusagen.
Sollten Sie in der hervorragenden Situation sein, über genug Platz zu verfügen, einen Walnussbaum pflanzen zu können: Nehmen Sie nicht irgendeinen. Erkundigen Sie sich genau und wählen Sie die Sorte nach eigenem Gutdünken hinsichtlich Wuchs, Winterhärte und Ertrag aus. Nussbäume sind behäbig, die tragen erst ab einem gewissen Alter. Sie sind frostempfindlich und eigenbrötlerisch. Sie werden bis zu 160 Jahre alt und stehen noch da, wenn wir lang schon im Schlund der Vergangenheit ruhen.
Erschienen in der Presse.
Eine besonders lässige und typisch österreichische Sorte ist die Rote Donaunuss, die aus Ybbs stammen soll. Sie ist mittelgroß, trägt regelmäßig und reichlich und hat etwas, das alle anderen Walnusssorten nicht haben: Eine knallrote, überaus attraktive Kernhaut. Schaut toll aus. Schmeckt auch gut. Außerdem treibt sie relativ spät aus und ist deshalb vor Spätfrösten gefeit. Sollte über gute Baumschulen aufzutreiben sein. Fragen Sie sich durch.